Einmal in der Woche hole ich meinen Enkel vom Hort seiner inklusiven Grundschule in Hamburg ab. Schon in der ersten Klasse berichtete er mir, dass es einen Jungen in seiner Klasse gäbe, der gar nicht spräche. Er vermutete, dass der Junge die deutsche Sprache nicht könne, aber versicherte mir - in der unnachahmlichen Art sechsjähriger Kinder -, er werde sich schon um ihn kümmern.
Da mein Enkel nicht nur eine ältere Schwester, sondern auch einen kleinen Bruder hat, der auch noch nicht sprach, stellte dies offensichtlich kein Problem für ihn da. Von dem Vater des stummen Kindes hörte ich, dass es zunächst eine Sondereinrichtung besucht hatte.
Längst sind die beiden Erstklässler in der zweiten Klasse, ich sehe sie gemeinsam auf dem Schulhof Tischtennis oder Fußball spielen und, keineswegs überraschend für mich:
Der stumme Junge spricht inzwischen.
Einmal, als ich meinen Enkel abholen wollte, saßen sie vor einem Schachbrett, mitten im Spiel.
„O,“ sagte ich verblüfft, „ihr spielt Schach?“
Auf dem Heimweg musste ich meinen Enkel einfach danach fragen: „Kann dein Freund das denn? Weiß er, wie die Figuren gezogen werden müssen? Schach ist ja nun nicht so ganz ohne ...“ Mein Enkel lächelte überlegen und antwortete: „Natürlich weiß er, wie sich die einzelnen Figuren bewegen, und ansonsten Oma, mach ich es wie bei dir: Ich sag ihm einfach, wie er ziehen muss!“
Inzwischen besuchten sie gemeinsam die dritte Klasse, als die Familie des stillen Jungen nach Niedersachsen umzog. Zunächst brachte der Vater sein Kind noch mit dem Auto zur Hamburger Schule, aber der lange Weg war ein Problem. Ich wollte wissen, in welche Schule er fortan gehen würde, worauf der stille Junge leise antwortete: „Das weiß ich nicht, keine will mich haben.“
Wir wollen....
... der Aussonderung entgegenwirken und Inklusion in allen Lebensbereichen vorantreiben:
Deshalb setzen wir uns für das gemeinsame Leben und Lernen von behinderten und nichtbehinderten Menschen ein: im Kindergarten, in der Grundschule, in den weiterführenden Schulen, in der beruflichen Ausbildung, im Arbeits-und Berufsleben, in der Freizeitgestaltung und in Wohnformen.

Warum Inklusion?
Früher war Menschen mit Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nur sehr begrenzt möglich: Kinder mit Behinderung besuchten ausschließlich Sonderkindergärten oder - schulen. Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung arbeiteten, wenn überhaupt, in Sondereinrichtungen.
Die heutige Vorstellung vom Zusammenleben in der Gesellschaft sieht eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen vor: die Inklusion. Es wird z.B. in Kindergarten und Schule nicht mehr zwischen behinderten und nichtbehinderten Kindern unterschieden. Inklusion geht grundsätzlich davon aus, dass sich alle Schülerinnen und Schüler unterscheiden und besondere Bedürfnisse haben. Je besser die Schule auf diese Unterschiedlichkeit reagieren kann, desto mehr profitieren alle Lernenden davon. Hier fließen Sonderpädagogik und allgemeine Pädagogik zur inklusiven Pädagogik zusammen.
Die Erfahrungen zeigen, dass diese bewußt wahrgenommene Vielfalt der Menschen eine Bereicherung für die Gesellschaft ist.

Rechtliche Grundlagen
Grundgesetz und Gleichstellungsgesetz verbieten die Benachteiligung von behinderten Menschen.
Die UN-Konvention über die Rechte der Kinder und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die von der Bundesrepublik ratifiziert wurden und die völkerrechtlich bindend sind, verpflichten die Vertragsstaaten zu einer möglichst vollständigen Einbeziehung der behinderten Kinder und Erwachsenen auf allen gesellschaftlichen Gebieten und damit auch zu einer inklusiven Schule.
Das sagt die UNESCO zur Inklusion im Bildungssystem:
Die UNESCO-Leitlinien für die Bildungspolitik von 2009 legen fest:
"Inklusive Bildung ist ein Prozess, im Rahmen dessen jene Kompetenzen im Bildungssystem gestärkt werden, die nötig sind, um alle Lernenden zu erreichen. Folglich kann inklusive Bildung als Schlüsselstrategie zur Erreichung von „Bildung für Alle“ gelten. Inklusion sollte als übergreifendes Prinzip sowohl die Bildungspolitik als auch die Bildungspraxis leiten, ausgehend von der Tatsache, dass Bildung ein grundlegendes Menschenrecht ist und die Basis für eine gerechtere Gesellschaft darstellt."

Inklusion im Bildungsbereich
In den Hamburger Kindergärten und Kitas beträgt der Anteil der Kinder mit Behinderung, die in einen Regelkindergarten gehen, inzwischen erfreuliche 91%.
Im Schuljahr 2011/12 gab es bundesweit etwa 488.000 Schülerinnen und Schüler mit sog. sonderpädagogischem Förderbedarf. (K.Klemm: Inklusion in Deutschland. Eine bildungsstatistische Analyse. Eine Studie für die Bertelsmannstiftung von 2013.Siehe unter Publikationen. Alle Zahlen sind dieser Studie entnommen.)
2011/12 ist der Anteil der SchülerInnen in Hamburg, die in Regelschulen unterrichtet wurden, gegenüber 2008 von 14,5% auf 36,3% gestiegen. Gleichzeitig ist jedoch auch die Quote der SchülerInnen, denen sonderpädagogischer Förderbedarf zugesprochen wurde, von 5,7% auf 6,6% gestiegen. In den Hamburger Grundschulen waren 46,1% der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulen integriert, in weiterführenden Schulen jedoch nur noch 30,8%.
Das ist immer noch viel zu wenig!
Was haben wir - die LAG Eltern für Inklusion e.V. - bisher erreicht?
In Hamburg gibt es seit langem einen integrativen Weg vom Kindergarten über die Schule und Berufsbildung bis zum Arbeitsleben. mehr...
Eine Mutter erzählt:
Ich hatte um 10.00 Uhr morgens einen Termin bei der Schulleiterin der nahegelegenen Grundschule.
Ich schob meine kleine Tochter im Rollstuhl über den Pausenhof voller spielender Kinder. Plötzlich kamen mehrere Kinder auf mich zu, fragten, ob ich meine Tochter für die neue 1. Klasse anmelden möchte. Sie öffneten uns die Schultür, führten uns zum Lift, fuhren mit in die 1. Etage, zeigten uns das Büro, klopften und sagten zur Sekretärin: „Wir bringen eine neue Schülerin“.
Die massiven Sorgen, die ich mir für mein Kind vor dem Schuleintritt gemacht hatte, waren verflogen.
Die Inklusive Schule in Hamburg
Nach der Neuformulierung des § 12 im neuen Hamburgischen Schulgesetz vom September 2010 haben nun - mit deutlichem Bezug auf die Behindertenrechtskonvention - alle Kinder mit Behinderung das Recht, eine Regelschule zu besuchen:
"1. Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben das
Recht, allgemeine Schulen zu besuchen. Sie werden dort gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet und besonders gefördert. Die Förderung kann zeitweilig in gesonderten Lerngruppen erfolgen, wenn dieses im Einzelfall pädagogisch geboten ist."
2010/2011: Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf können bei der Einschulung in die 1. und 5. Klassen zum ersten Mal zwischen Sonder- und allgemeinen Schulen frei wählen.
Juni 2012: Die Hamburgische Bürgerschaft beschließt den konzeptionellen Rahmen, der die Grundlagen für die Einführung der inklusiven Bildung in Hamburg schafft.

Kurz vor den Sommerferien- es war heiß. Die Englischlehrerin wollte mit der 9. Klasse Eis essen gehen. Aber die Sozialpädagogin war an diesem Tag nicht verfügbar. Daher wollte die Englischlehrerin den Jungen mit einer kognitiven Beeinträchtigung nicht mitnehmen, sie traue sich das nicht zu, sagte sie zur Klasse. Die Jugendlichen antworteten ihr, das sei gar kein Problem, sie würden ihren Mitschüler immer mitnehmen – und das taten sie dann auch.

Arbeitsassistenz - Unterstützung für Menschen mit Behinderungen beim Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
Seit 1992 unterstützt die Hamburger Arbeitsassistenz Menschen mit Lernschwierigkeiten beim Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die (damalige) LAG Eltern für Integration wollte mit der Gründung dieses Fachdienstes Alternativen zu einer Tätigkeit in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) schaffen.
Gegenwärtig unterstützt die Hamburger Arbeitsassistenz z.B.
- Menschen mit Lernbehinderung, die aus der WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen
- Schulabgänger/innen, die sich im Übergang von der Schule in den Beruf Alternativen zum Berufsbildungsbereich in den WfbM wünschen
- Arbeitslos gemeldete Schwerbehinderte, die bei der Überwindung ihrer Arbeitslosigkeit zusätzliche Hilfe benötigen.
Interessenten an den Angeboten der Hamburger Arbeitsassistenz können direkten Kontakt mit dem Fachdienst aufnehmen. Die Adressen befinden sich unter "Anlaufstellen".
